Neuanfang der Familie Meyer in Hamburg und Gründung einer Stiftung
Die Tangermünder Zuckerraffinerie ist enteignet. Die Zukunft des Familienunternehmens liegt 1946 in Hamburg. Die Hansestadt befindet sich innerhalb der britischen Besatzungszone. Jedoch bleibt Hamburg auch nach dem Krieg eigenständig, da die britische Militärregierung die eigenstaatliche Existenz der Freien und Hansestadt erklärt. Die Familien der Vorstände Friedrich und Walter Meyer werden im Oktober 1946 von den sowjetischen Behörden aus Tangermünde ausgewiesen und müssen den Landkreis Stendal binnen 24 Stunden verlassen. Die beiden Familienväter selbst befinden sich noch in sowjetischer Haft. Als Friedrich 1948 nach 3-jähriger Inhaftierung entlassen wird, weiß er noch nicht, dass seine Fabriken enteignet sind und seine Familie ausgewiesen wurde. Bruder Walter der nach Buchenwald verlegt wird, überlebt die Haft nicht. Zu dieser Zeit verwalten Heinrich Lando und Walther Echarti die Erlöse aus dem verkauften Zucker, welchen die Briten bereits im Juni 1945 aus dem Tangermünder Fabrikgelände abtransportieren ließen.
Dr. R. Johannes Meyer trifft Vorbereitungen, um erneut in die Zuckerbranche einzusteigen. Er kennt die Strukturen der Tangermünder Familiengesellschaft und übernimmt 1947 die Treuhandschaft. Auf den Bankkonten findet er die 13,3 Millionen Reichsmark von den verkauften Zuckervorräten. Dem gegenüber stehen Forderungen in Höhe von 2 Millionen, die der Treuhänder schnell begleicht. Während dessen versucht Paul Meyer als Vorstand und ehemaliger Leiter der Schokoladenfabrik, die alte Tangermünder Feodora wieder ins Leben zu rufen. Suchend nach einer geeigneten Fabrikanlage kommt er in Kontakt mit Friedrich Otto Hasse, dem Inhaber der berühmten Bremer Chocolade-Fabrik Hachez & Co Hasse. Die beiden Männer besichtigen gemeinsam die durch einen Bombenangriff schwer beschädigte Fabrik. Der Wiederaufbau ist bereits in vollem Gang. Der Maschinenpark ist noch „gut brauchbar“. Meyer ist ein gemeinsamer hoher Qualitätsanspruch wichtig und er präsentiert seine Idee einer Kooperation von Hachez und Feodora. Eine Planungsumsetzung scheitert jedoch zunächst, da in die US-amerikanische/ britische Besatzungszone noch kein Rohkakao eingeführt wird – die Schokoladenproduktion steht in den Nachkriegsjahren still.
Als Dr. R. Johannes Meyer von Friedrich Meyer’s Rückkehr hört, sorgt er sofort für finanzielle Unterstützung. Der Treuhänder erhofft sich, dass Friedrich in der späteren neuen Zuckerfabrik in Kappeln an der Schlei eine Führungsposition besetzt. Doch Friedrich hat andere Vorstellungen. Er will nicht länger warten und stattdessen die Neuorientierung des Familienunternehmens selbst in die Hand nehmen. Obwohl er selbst gesundheitlich angeschlagen ist, übernimmt er die Rolle des verantwortungsvollen Familienoberhauptes. Der Zusammenhalt der Familie waren von zentraler Bedeutung im Tangermünder Familienunternehmen, Rückschläge und Brände zu überwinden. Friedrich Meyer führt Prozesse, treibt engagiert Geld für das Familienunternehmen auf, verhandelt mit den britischen Behörden und berät sich mit seinem Cousin Paul. Den aktuellen Treuhänder Dr. R. Johannes Meyer kritisiert er als „Volkswirtschaftlich direkt unsinnig“ seien die Investitionen in die im Bau befindlichen Zuckerfabrik an der Schlei und beantragt gleichzeitig die Übernahme der Treuhandschaft der Zuckerraffinerie Tangermünde AG um Dr. R. Johannes Meyer abzulösen. Am 3. Dezember 1949 wird Friedrich Meyer vorerst Treuhänder des im westen befindlichen Gesellschaftsvermögens. Zu seinen ersten Aufgaben gehört es die Zuckerfabrik Schlei AG abzuwickeln. Beim Bau der Fabrik an der Schlei unterhält die Zuckerraffinerie Tangermünde AG vier Fünftel der Aktien. Das gesamte Bauprojekt wird finanziell von der Unternehmerfamilie Meyer getragen und verschlingt einen Großteil des gesamten Kapitals. Das Bauprojekt ist nach Turbulenzen und Währungsumstellungen gescheitert und die Aktiengesellschaft muss infolge fehlenden Kapitals aufgelöst werden. Die Zuckerraffinerie Tangermünde AG übernimmt als größte Anteilseignerin das Grundstück an der Schlei, welches später immerhin einen guten Preis erzielen wird, doch die Pläne einer Zuckerproduktion im Westen sind gescheitert. In den 4 Jahren die nun mittlerweile seit Kriegsende vergangen sind, ist nun endlich die Schokoladenherstellung möglich: im Frühsommer 1949 laufen erstmals wieder Schiffe mit Rohkakao in den Hamburger Hafen ein. Mit Beschluss der Generalversammlung vom 5. September 1950 wird der Sitz der Gesellschaft Tangermünde nach Hamburg verlegt und am 30. September unter dem Namen „Zuckerraffinerie Tangermünde Fr. Meyers Sohn AG“ (ZERT) eingetragen. Die Meyers können die Verhandlungen mit dem Bremer Hachez-Schokoladenhersteller zum Ende bringen. Beide Parteien erkennen den Vorteil dieser Kooperation. Die Bremer benötigen dringend Kapital, das Meyer zuschießen könnte. Friedrich Otto Hasse hat für sein Hachez-Unternehmen keinen direkten Nachfolger innerhalb seiner Familie. Dennoch ziehen sich die Verhandlungen hin und kommen erst zum Abschluss als sich die Meyers ernsthaft um den Kauf einer anderen Schokoladenfabrik in der Nähe von Hamburg bemühen. Zum 1. März 1953 tritt die Zuckerraffinerie Tangermünde Fr. Meyers Sohn AG mit einer 50-prozentigen Beteiligung in Höhe von 600.000 Mark in die Kommanditgesellschaft der Bremer Chocolade-Fabrik ein. Friedrich Otto Hasse scheidet aus und wandelt sein Geschäftskapital in eine Kommanditeinlage um. Paul Meyer wird Geschäftsführer und die Marken Hachez und Feodora werden unter einem Dach gefertigt. Beide Marken bleiben aber in Produktion und Vermarktung eigenständig. Hachez wird unter der Adresse in der Bremer Westerstraße 32 geführt und Feodora unter der Hamburger Anschrift. Beide Marken finden guten Absatz. Denn nach Zeiten der Entbehrung besteht großer Nachholbedarf an Genussmitteln vor allem bei Bohnenkaffe, Südfrüchten und Schokolade. Die Menschen haben wieder mehr Geld um zu konsumieren, die Produktion steigt rasant und wird so Teil des „Deutschen Wirtschaftswunders“.
Julie Meyer, eine Enkelin des Firmengründers, verstirbt 1952 und stiftet ihren Nachlass per Testament „hilfsbedürftigen, elternlosen oder begabten jungen Leuten, die mit der Heimatstadt der Erblasserin besonders verbunden sind“. 1958 wurde daraufhin die „Julien-Stiftung“ gegründet, die allerdings erst nach der Wiedervereinigung ihren eigentlichen Zweck erfüllen konnte. Seit 1996 hat die Stiftung ihren Sitz in Tangermünde, die ab 2007 den Namen „Hugo Meyer-Nachfahren-Stiftung“ trägt. Seit Anfang der 90-er Jahre haben etliche junge Menschen Stipendien aus der Stiftung erhalten.
Die Familie Meyer hat in der kleinen Kaiserstadt an der Elbe viele Spuren hinterlassen, die bis heute und darüber hinaus immer wieder aufs Neue das Stadtbild prägen. In Notzeiten und Notlagen unterstützten die Meyers mit damals großen Summen Hilfsbedürftige und zugleich auch Projekte in Tangermünde. Ab 2000 steht vor allem der Erhalt der historischen Bausubstanz im Vordergrund. So wurde es neben vielen weiteren Projekten möglich, das Rathaus zu sanieren, eine umfassende 11 Jahre andauernde Restaurierung der Scherer-Orgel der Stephanskirche zu realisieren, sowie St. Stephan eine neue Turmhaube aufzusetzen. Aber auch DLRG, Sportlergruppen, Angler, Christen, Jugendfeuerwehr und die jungen Stadtführer erhalten jährlich finanzielle Unterstützung zur Ausübung ihrer Aufgaben. Begünstigt mit 1,2 beziehungsweise 1,5 Millionen Euro wurden die Sportstätte „Waldschlösschen" und die Johanniter-Kindertagesstätte „Farbenspiel“. Für die Begünstigten und für die Stadt Tangermünde ist das Wirken der Hugo Meyer-Nachfahren-Stiftung ein ganz besonderer Glücksfall.
Die ZRT wurde ab ihrer Neugründung in Hamburg aus rechtlichen wie wirtschaftlichen Aspekten mehrmals umgewandelt, sowie umbenannt. 1987 erfolgte die hundertprozentige Übernahme der Bremer Chocolade-Fabrik Hachez, welche im Jahr 2000 an den Enkel des Hachez-Gründers verkauft wurde. Seit den 80-er Jahren entwickelte sich das Unternehmen zu einer Holding-Gesellschaft, die marktführende Firmen übernimmt und als Tochtergesellschaften unterstützt. Der neue Name "Holding ZERTus GmbH" - seit 2002 - soll einerseits auf die 175-jährige Geschichte des Familienunternehmens mit seinen Wurzeln in Tangermünde hinweisen, andererseits international einsetzbar - die Verbindung zu dem lateinischen Wort „certus“ = sicher, herstellen. Die Zertus unterhält als Dachgesellschaft mit Hauptsitz in Hamburg, 8 Tochtergesellschaften. An dem Unternehmen, das 2000 Mitarbeiter beschäftigt, sind gut 100 Familienmitglieder als Gesellschafter beteiligt. Das Speditionsunternehmen „Fr. Meyer's Sohn GmbH & Co.KG" ist heute spezialisiert auf Massengüter für Seefracht-, Luftfracht- und LKW-Verladungen und gehört zu den Top 10 weltweit.